
Wenn Beziehungen weh tun, schauen wir selten dorthin, wo es wirklich begonnen hat
Es gibt diese Momente, in denen Menschen vor mir sitzen und über ihre aktuellen Beziehungen sprechen – über Partner:innen, Kinder, Kolleg:innen, Eltern und während sie erzählen, spürt man, dass es eigentlich nicht um das Jetzt geht, sondern um etwas viel Älteres, etwas Tieferes, etwas, das sich schon sehr früh in ihnen angelegt hat und bis heute still, aber beharrlich mitwirkt.
Viele unserer Beziehungskonflikte beginnen nicht dort, wo wir sie heute erleben, sondern dort, wo wir gelernt haben, wie Nähe funktioniert, wie sicher oder unsicher sie sich anfühlt, wie viel Raum wir einnehmen dürfen und wie viel Anpassung von uns erwartet wird und genau deshalb greifen einfache Ratschläge so oft zu kurz.
Denn niemand kommt „neutral“ in Beziehungen.
Wir kommen mit Bindungsmustern.
Mit Loyalitäten.
Mit unbewussten Verträgen, die wir als Kinder geschlossen haben, lange bevor wir Worte dafür hatten.
Familie ist nicht nur Herkunft – sie ist ein System
Familien sind keine romantischen Einheiten aus Liebe und Geborgenheit, sondern komplexe Systeme, in denen Rollen verteilt werden, manchmal stillschweigend, manchmal hartnäckig, oft generationenübergreifend, und in denen Kinder sehr früh lernen, was von ihnen erwartet wird, um dazuzugehören.
Manche lernen, stark zu sein.
Andere lernen, leise zu sein.
Wieder andere lernen, Verantwortung zu übernehmen, zu vermitteln, zu retten oder zu funktionieren.
Und all das geschieht nicht, weil Eltern „falsch“ handeln wollen, sondern weil auch sie Teil eines Systems sind, das sie geprägt hat – mit eigenen Verletzungen, eigenen Überlebensstrategien, eigenen blinden Flecken.
Das Tragische ist: Diese frühen Anpassungen sind oft brillant, notwendig und lebensrettend und gleichzeitig werden sie später zu dem, was uns im Weg steht, wenn wir uns nach echten, erwachsenen, gleichwertigen Beziehungen sehnen.
Loyalität ist mächtig und manchmal zerstörerisch
Ein Thema, das in meiner Arbeit immer wieder auftaucht, ist Loyalität.
Nicht die bewusste, sondern die tiefe, kindliche Loyalität, die sagt:
„Ich darf es nicht leichter haben als du.“
„Ich darf dich nicht enttäuschen.“
„Ich darf nicht gehen, wenn du geblieben bist.“
Diese Loyalitäten wirken oft im Verborgenen und zeigen sich später als Beziehungsprobleme, als Schuldgefühle, als Selbstsabotage, als das diffuse Gefühl, dass Nähe gefährlich ist oder Autonomie etwas kostet, das man nicht bereit ist zu zahlen.
Viele Menschen versuchen dann, sich im Außen zu „reparieren“ – durch Kommunikationstechniken, Grenzsetzung, Selbstoptimierung ohne zu merken, dass sie innerlich noch immer einem alten inneren System verpflichtet sind.
Meine Arbeit beginnt nicht mit Lösungen, sondern mit Verstehen
Ich glaube nicht an schnelle Antworten, und ich glaube auch nicht daran, dass wir Beziehungen „fixen“ können, ohne uns ehrlich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, nicht um Schuld zu verteilen, sondern um Zusammenhänge zu erkennen.
Meine Arbeit bewegt sich dort, wo Biografie, Bindung und System aufeinandertreffen.
Dort, wo Menschen beginnen zu verstehen, warum sie immer wieder ähnlich fühlen, ähnlich reagieren, ähnlich scheitern obwohl sie sich doch so sehr bemühen, es anders zu machen.
Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu therapieren.
Es geht darum, sie einzuordnen, damit sie nicht länger unbemerkt die Gegenwart steuert.
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